Karl Günther Hufnagel

 

 

 


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Der Anfang der Erzählung

Gemachte Pferde

Sie gingen auf der rechten Seite der Straße. Manchmal schaute er auf nach den Schildern über den Haustüren, las die Nummern, halblaut, daß das Kind ihn befragte, er antworten mußte, die Zahlen nannte, und das Kind weiterfragte: "Und jetzt - jetzt?" Es war fünf Jahre alt, ein Mädchen, hatte kurze Zöpfe, die zur Seite standen, Schleifen daran, und ein blaues Kleid, auf das vorne, im Streifen um die Knöpfe, kleine Blumen gestickt waren.
"Bist du müde?" fragte er.
"Nein." Es schaute hoch an ihm, bewegte die Hand mit der des Mannes, die es umgriffen hielt, bis der Arm waagrecht war, wiederholte es, wurde ruhig, nur die Schritte ungleich, immer wieder das Tippeln auf den Fußspitzen, mit leicht gebogenen Knien, den freien Arm hängend.
Die Straße schmal; wo Autos parkten, blieb zu den Schienen der Straßenbahn Raum für ein Fahrrad, und die Signale der Triebwagen, langgezogen wiederholt, schmerzten, daß er die Hand des Kindes drückte. Das Kopfsteinpflaster senkte sich wellig zum Rand der Fahrbahn, schnitt stückweise über die inneren Kanten der Gleise, die zu schwingen schienen, war in Flecken ausgebrochen, die Löcher mit Teer aufgefüllt. Die Fassaden zu beiden Seiten der Straße geklinkert, dunkel, hellere Streifen um die Fenster, zwischen den Stockwerken die Bänder geometrischer Figuren, Balkone mit eisernen Rankengittern, vorgebogen, auf einzelnen die Kästen mit Geranien. Selten dazwischen neuere Häuser, glatt, mit schon bröckelndem Verputz. Der Schatten über die Straße, als Saum bis zu den Fenstern der ersten Stockwerke, durchbrochen manchmal, daß der Kopf, die Schulter des Mannes in die Sonne kamen.
"Ist es weit?" fragte das Kind. Es drehte sich ihm zu, die Schritte übers Kreuz, daß die Füße gegen ihn stießen, er langsamer gehen mußte, den Arm des Kindes zog, bis es wieder neben ihm war, gerade, nur den Kopf vorgehoben.
"Weißt du, wie weit es ist?" fragte es.
"Ja, ich weiß es", sagte er. Er war groß, hatte eine braune Hose an, eine dunklere Jacke, sein Gesicht bleich, weiche Haut, um Mund und Kinn in runden, gleichmäßigen Falten, kräftige Nase, die Stirn hoch, mit dem dünnen, glattgebürsteten Ansatz der Haare.
Das Kind senkte den Kopf, nickte, die Unterlippe eingezogen, wetzte sie an den Zähnen, schaute auf, ohne den Kopf zu heben, sah das Stück Jacke.
"Es ist nicht weit", sagte er.