Karl Günther Hufnagel

 

 

 


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Der Anfang des Ersten Kapitels

Ich lache, stehe am Geländer des Treppenhauses, schaue hinunter in den Schacht und lache. Brocken Verputz auf den Stufen, von der Wand mit dem schmutzgrünen Ölsockel, Ziegel, frei in gezackten Flächen, blaßrot, und oben das kahle Drahtnetz, durchhängend, ein paar Kalkstücke noch an den Maschen nahe der Wand, die Unterseite der steilen Treppe, Holz, schräg, schwarz und glatt hinter dem Netz, oder kein Holz, nur die Schicht Dunkel zwischen Netz und Treppe. Meine Schuhe kratzen den Kalk über die Stufen, mahlen ihn, schleifen ihn über die Kante weiter, auf die nächste Stufe oder als schwersinkender Staub in den Schacht. Aber darüber lache ich nicht mehr. Auch die Birne, in der nackten Fassung, am reglos rußschorfigen Kabel, und das Geländer aus gedrehten Eisenstäben und der glänzenden Handstange. Ich stehe wenige Stufen unter dem dritten Stockwerk, und schräg unter mir öffnet die junge Frau ihre Wohnungstür, geht die Schritte zum Geländer und schaut schweigend zu mir herauf, die Augen leicht verkniffen, freundlich in ihrer Kurzsichtigkeit, aber bewegungsfrei das Gesicht. Ich beuge mich vor, lache weiter, schwer, als die Stange gegen meinen Leib drückt, dunkler, bis nur die Grimasse bleibt, laste vor, und das Stück Stange von einem Meter Länge bricht mit dem Eisenstab, der aus dem Brett unter der Stufe knickt, doch stürze ich nicht, halte mich am Gestäng, ziehe mich, schon baumelnd, hoch, bemüht, den Schrecken aus meinem Blick zu nehmen. Aber die Frau hat die Tür geschlossen, nur der Herr Mortebl steht oben auf der Plattform des dritten Stockwerks, und ich gehe im voraus in die Wohnung, stoße die Tür meines Zimmers auf, lasse sie offen, während ich an das Fenster trete, zur Straße hinunterzusehen.
"An der Wand bleiben", sagt Herr Mortebl. Er mag recht haben, aber er sagt auch, er sei alt, er sagt, er sei zweiundachtzig, hat eine Zahl, die bedeutet, wie alt er ist, und ich verstehe nichts vom Alter, es ist mir auch gleichgültig. Er sagt manchmal, es sei von Vorteil, an der Wand zu bleiben. Er sagt es, ehe ich weggehe, im Flur. Diesmal sagt er es in meinem Zimmer.
"So ist es", sagt er. Er nähert sich mir, bis sein Ärmel von hinten den meinen berührt. "Man braucht es nicht lange zu bedenken. Es ist eine Sache der Erfahrung, der täglichen Erfahrung eines alten Mannes."
Er geht um mich herum, daß er seitlich vor mir steht, den Rücken gegen das Fenster.
"Gewiß ist die Wand schmutzig", sagt er, "und wenn ich sie streife, was selten zu vermeiden ist, bleibt Ruß und Kalk an der Jacke, daß ich, komme ich wieder nach oben, beginne, sie zu reinigen, keine leichte Arbeit für einen Mann in meinem Alter."
Er hat die Hände am Fensterbrett, stößt sich ab, tritt wieder hinter mich. "Ein geringes Übel dennoch, vergleiche ich es mit Ihrer Gefährdung, mein Freund. Auch wenn ich die Arbeit, der ich mich unterziehe, bedenke, auch den Widerwillen, den mir der Schmutz an meiner Jacke einflößt, muß ich sagen, daß Schmutz, habe ich ihn entfernt, mich nur beeinträchtigt, falls ich mich zufällig erinnere."
Ich löse mich von ich, setze mich auf die Kante des Bettes, den Oberkörper über die Knie gebeugt, die Hände zwischen ihnen gefaltet.
"Ich bin die Treppe nicht hinuntergegangen", sage ich.
Er tritt vor mich, daß ich seinen Hauch spüre. "Ich habe es mir gedacht. Ja doch, ich hatte keinen Zweifel. Ich habe Sie lachen hören."
Er bewegt sich langsam aus dem Zimmer. Den Griff der Tür in der Hand, wendet er sich halb um. "Ich bitte Sie sehr, nicht zu lange zu warten."
"Nein", sage ich, und nachdem er die Tür geschlossen hat, stehe ich auf, nehme die Bürste aus der Schublade der Waschkommode. Doch beginne ich, die Bürste in der Hand, wieder zu lachen, trete zurück ans Fenster, öffne beide Flügel, atme den Dunst der Stadt ein, lache; allmählich lauter werdend lache ich über das eigene Lachen, schweige erst, als ich oben auf dem Brett stehe, den Arm um das Fensterkreuz geschlungen.
Ich mag Fassaden lieber als Bäume. Ich kenne sie besser, mag Straßen, in denen die Fassaden der beiden Seiten sich nahe sind, zwei endlose oder kurz und scharf geschnittene farblose Flächen, senkrecht, mit bröckelnden Schnittkanten, über der Waagerechten der dunkleren Straße. Die Wand ist nahe, auf die ich von meinem Fenster sehe, näher als das Pflaster, das leer ist und schimmert, auf das ich nicht springe, mit einem Fuß auf dem Sims des Fensters stehend, nicht springe. Ich hatte nicht die Absicht zu springen, aber nichts spricht dagegen, daß ich es versuche, und es scheint mir verfehlt, in einem Fenster zu stehen und sonst nichts, während ich, durch ein offenes Fenster gegenüber, Kinder beobachte, die Puppen von einem Regal nehmen, sie in einen Korbwagen betten, daß sie übereinander liegen, ehe ein Tuch aus hellem grünem Gewebe sie deckt. Es sind kleine Mädchen, oder es sind auch größere, ich steige hinunter, ohne mich zu schämen, weder schäme ich mich meiner Übung noch ihres Endes, und beginne die Hosenbeine zu bürsten, mit glatter, gleichmäßiger Bewegung.

Es ist nur der eine Stab ausgebrochen und das Stück Stange; ich sehe sie auf den Fliesen des Erdgeschosses liegen. Sonst ist das Geländer fest, und ein paar Stufen unter der Bruchstelle könnte ich mich darauf setzen und versuchen, hinunterzurutschen, gebremst an den Kehren und doch immer schneller bis zum untersten Stockwerk. Ich könnte mich, beide Beine nach einer Seite, auf die Stange setzen, die Hände am Holz, das Gleichgewicht zu halten, oder ich könnte es rittlings, die Hände vorne oder hinten, was aber gefährlicher ist, oder ich könnte mich mit dem Bauch darauflegen, die Beine soweit möglich aufgewinkelt, daß die Knie die Brust fast berühren. Das ist die sicherste Art, nur an den Kehren wäre zu achten, daß die Füße nicht ins Gestänge geraten und der Schwung des Gleitens mich über das Geländer in den Schacht dreht. Ich könnte bei der Kehre des zweiten Stockwerks stürzen. Das ist nicht hoch, wenn ein Haus fünf Stockwerke hat, und ließe sich riskieren. Nur zum Spaß, denn ich habe nichts übrig für Stufen. Doch habe ich auch für anderes nichts übrig. Ich kehre zurück in die Wohnung. Es ist früher Morgen ...