Karl Günther Hufnagel
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Der Roman schildert eine doppelte Krankengeschichte. Die Selbstzerstörung eines Mannes im Zerfall mit Familie und Umwelt. In der Erfahrung seiner privaten Schuld identifiziert er sich mit der Schuld seines Kollektivs, der Nation, ihrer Geschichte. Er übernimmt die Rollen der Täter sowie der Opfer, steigert sich in Büßer- und Erlöserphantasien, um sich endlich in der Gestalt des Rächers wiederzufinden. Er zerbricht an dem Konflikt, dem sich - mit Ausnahme nicht zufällig pathologisch gewordener Fälle einzelner - die Nation im Interesse ihres Fortbestehens verweigert hat. Im Wahnsinn des Ich-Erzählers wird das Unfassbare noch einmal beispielhaft real.
Seite 80-82
(...) Während ich die Steine aufklaube, zwicke ich die dicke Frau in die große Zehe.
"Was fällt Ihnen denn ein?"
"Was ist denn Matilde?" Der Mann richtet sich auf.
"Verzeihen Sie, es war ein Versehen." Wir haben viele Steine beieinander, das Kind will aber nicht aufhören, mit mir zu sammeln. "Mir tut der Rücken weh. Darf ich mich ein wenig hinsetzen?"
"Ich will aber, dass du wiederkommst."
"Bestimmt."
Meine Frau fragt: "Warum hast du das gemacht mit der Frau?"
Ich sage: "Die entscheidende Szene in den Dämonen ist, wo Stawrogin dem General die Nase einzwängt, nicht die mit dem Mädchen, das am Strick hängt."
"Was verstehst du davon?"
"Wenn ich sonst nichts mehr tun mag, werde ich Schriftsteller."
"Du machst geschmacklose Scherze."
Das Kind kommt mit mir ins Wasser, ich darf es weiter hineintragen, es hält sich an meinem Hals fest, ich versuche, mit ihm zu schwimmen, es hat Angst in den Augen, auch als wir wieder am Ufer sind, sagt es noch nichts.
Daheim lese ich ihm vor, was es verlangt hat, es dauert länger, bis es einschläft, dann ziehe ich meine Frau aus. Ich sage: "Ich habe den ganzen Tag darauf gewartet." Ich stehe neben ihr und schaue sie an. Sie bewegt sich nicht, während sie daliegt.
Warum werde ich nicht überfahren, wenn ich über die Straße gehe? Morgen ist erst Freitag. Habe ich heute schon mein tägliches Kind gegen den Baum gehauen, um Munition zu sparen? Ich sitze zwischen den Juden im Café Grünwald und kaufe zwei Stangen Zigaretten, trinke Molke. Die Juden lachen, als kennten sich mich nicht. Sie haben Goldzähne, klopfen mir auf die Schultern, sie sind dran, sie haben schon immer so ausgesehen, wie man sie fotografiert hat. Ich handle einen Hunderter runter pro Stange. Sie sind aus Freundlichkeit auf mich eingegangen, es macht ihnen Spaß, dass ich größer bin als sie, möglich, sie erinnern sich doch an mich, ich habe einen Freund unter ihnen, der herzlich zu mir ist. Nachdem ich die Zigaretten auf der Straße verkauft habe, gehe ich mit der fetten Judenhure ins Kino. Sie hat eine Bluse aus Kräuselkrepp an und steckt meine Hand darunter, drückt mit ihr herum, bis ich sie rausziehe. Dann sitzen wir im Märzenkeller. Da ist eine Bühne, auf der sie jodeln und Scherze treiben. Die Nutte sagt: "ich weiß, was du willst. Du willst mich ficken." Ich gehe nicht mit ihr auf die Toilette. Warum werde ich nicht überfahren, wenn ich doch Angst habe wie das Kind vor dem Wasser? Die Straßen werden breiter nach jedem Morgen, bis zu dem ich getrunken habe, die Geräusche schmerzen, die Schatten bewegen sich schneller, im Büro erschrecke ich, wenn die Sekretärin anklopft, ich habe ihr das verboten, aber sie lässt es nicht, ihre Stimme wirkt schrill, ich brauche länger, ihr zu antworten, was sie anhat, bringt mich zum Kotzen, was ich selber anhabe, bringt mich zum Kotzen, sie setzt sich mir gegenüber, es gelingt mir, mich zu wiederholen, ich gehe nach Hause und spreche zwei Stunden auf Band, dann lege ich mich aufs Sofa, ich habe die Kleidung nicht gewechselt, sie stinkt, im Stehausschank spiele ich mit den Zuhältern am Flipper, ich bin nicht betrunken, noch könnte ich sie einzeln zusammenschlagen, falls ich wollte, wenn ich das nicht mehr schaffe, bleibe ich im Bett liegen und lasse mir den Tee bringen, sie haben weiße Gesichter, die grinsen um den Mund und um die Augen, wenn ich das erste Mal den Blick vor ihnen niederschlagen werde, ist meine Zeit vorbei, dann werde ich ihnen meine Firma übergeben, damit sie auf ehrliche Weise Geld verdienen können, aber jetzt flipper ich noch und verliere gerne (...)