Karl Günther Hufnagel

 

 

 


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Seite 12 - 17
Das Haus meines Vaters ist gewaltig groß. Ich habe die Zimmer und Flure nicht gezählt. Die Lüster erstrahlen in einem Licht, das den Tag vorgibt. Wir wechseln zu unseren Treffen häufig die Räume, doch überall stehen die gleichen Tische, die, wenn wir eintreten, bereits gedeckt sind, ohne daß wir eines Personals ansichtig würden. Ein Haus der Gespenster. Nur von mir erwarte ich, daß ich aus Fleisch und Blut bin, ich gelegentlich Hunger verspüre und Flecken auf der Haut wahrnehme, wenn ich mich gestoßen habe. Oft renne ich die Gänge entlang, die Treppen auf und ab, ein Wesen außer mir zu entdecken. Vergebens, nur ich und eben Schwester und Vater, derer Existenz ich mir nicht sicher bin, die aber hinter jeder Ecke auftauchen können und zu den Essenszeiten pünktlich zur Stelle sind. Sollte dies insgesamt nur der Innenraum meiner Seele sein, wäre der schier unermeßlich. Er ist jedoch grausame Realität, umfassend ist meine Vorstellungskraft, die trotzdem nichts erfinden kann, was es nicht gibt, fehlte es ihr im andern Fall doch am Vorbild. Ich sage, aus nichts kann nichts werden, auch nicht dies widerliche Kunstwerk, in dem ich mich bewege. Mein Vater hat es für mich aufgerichtet. Noch weiß ich nichts damit anzufangen, tolle darin mit meiner Schwester herum. Manchmal beschmieren wir die Wände. Ich übe am Porträt meiner Schwester, als könnte ich sie gerade als Zeichnung in der Wirklichkeit festhalten, in der Überzeugung, das Künstliche würde das Leben, das ich mir wünsche.
...
Heute bin ich wieder draußen vorm Haus gewesen, habe verzehrt, was ich vorfand. Jetzt liege ich wie dann jedesmal auf dem Bett, in meinen Eingeweiden zu kramen und der Schwester Einzelheiten zu erklären. Oder mir selbst Klarheit zu verschaffen. Alles was ist, ist, ich kenne den Urheber der Rede, und ist es wert zu sein. Ein Rätsel, das mir gestellt worden ist. Zunächst wäre zu entschlüsseln, warum es mir aufgegeben ist. Vater verweigert die Antwort. Ich fange an ihn zu hassen, scheint er mich doch in Absicht zu quälen, und ich verachte ihn dafür, daß er mich nicht vernünftiger beschäftigt. Denn nichts verändert die Dinge auf ihrem Weg durch meinen Verdauungstrakt. Ich soll sie reinigen, neue aus ihnen zu machen, ziehe sie auch durchs Gehirn, sie bleiben wie sie sind, keine Säure kommt gegen sie an, kein Gedanke erlangt Macht über sie. Sie durchlaufen mich wie unberührt, und ich meine ihren stillen Hohn wahrzunehmen. Ohne Widerstand zu leisten, lassen sie sich betasten, nichts kann ihnen geschehen, sie verändern, ich plage mich umsonst und weiß doch nichts Besseres zu tun.
...
Im Gedärm zu lesen, ist ein Brauch wie jeder andere. Ich habe mich, nach dem Zufall der Geburt, seiner im Erbübel zu befleißigen, nicht der Beobachtung des Vogelflugs oder hingeworfener Hühnerknochen. Das Geheimnis ist mächtig und bietet viele Möglichkeiten der Lösung. Ich habe meinen Auftrag angenommen, säubere, nehme ohne Unterlaß das Unreine in mich auf, das sich im Laufe der Zeit um einen Kern gebildet hat, der das Wahre heißen soll. Nach dem schabe ich, kratze, bohre, bis er mir entgegen glänzen wird. Das Geheimnis hält zur Pflichterfüllung an, hängt als Drohung über mir, würde herabfallen, mich zu erdrücken, versäumte ich die Frage, die in ihrer Wiederholung nicht angenehmer, nicht deutlicher wird. Ich ducke mich unter ihr, stemme sie gleichzeitig hoch, sie dort oben zu halten, wo sie langsam in sich zu verschwinden vorgibt, um gleich wieder in Dauer zu prahlen. Ein bißchen Aufmucken bleibt, in dem spüre ich mich, bevor ich von meiner Antwortlosigkeit zermalmt werde.
Heute habe ich nichts in mir gefunden, was der Ernährung wert wäre. Totes Material. Ob tot oder lebendig, spielt jedoch schließlich keine Rolle, da jedes im verordneten Kreislauf bleibt, der schwindlig macht, drehe ich mich doch mit. Keine Ahnung, Gewißheit zwingt mich zur Einsicht in die Gesetzmäßigkeit der mir verordneten Natur, die zu mißachten ich mir im Gehorsam nicht erlaube. Mir ist aufgetragen, nichts sein zu wollen als was ich sehe, befühle, eine Figur darin zu finden, sie herzustellen mit schnellen Griffen, was bei der Schlüpfrigkeit der Materie mißlingt. Der Gehorsam verspricht mir das tägliche Brot für meine Seele, den Trost, die Zuversicht im Warten, das in blendender Einsicht enden wird. Ich gehöre dazu, eingetaucht bis zum Ersticken, darf mich nicht unterscheiden vom Dreck zwischen meinen Fingern. Sonst wird mein Hochmut bestraft, der Sünde wider das Gegebene. Ich erkläre, eins zu sein mit jenem, das mir zwischen die Hände gerät, bin selber ein Brocken Schmutz. Nie werde ich aus eignem Willen vom Erstrebten erfahren, bin im Unrat, verunziere notwendig mich selbst wie meine Umgebung, lade Schlamm sogar auf meine Schwester, wenn ich sie umarme. So ist meine Liebe beschaffen.