Karl Günther Hufnagel

 

 

 

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Seite 34-37

Ich greife zu dem Kuchen, er schmeckt noch, ich schlürfe den Cognac, ich koste den Kaffee aus gebrannten Bohnen, ich behaupte: Ich bin zufrieden. Mein Sohn hockt mir gegenüber als eine Schande, ich wende mich von ihm ab, auf der Straße bewegen sich die Menschen, die ich zu formen habe, und ich vertrödle meine Zeit mit ihm.
"Steh auf", sage ich. "Zeige dich."
"Was soll ich, Vater?"
Ich verzichte darauf, mich zu wiederholen. Der Sohn hat dunkle Haare, der Schnitt frisch, seine Haut zeigt die gesunde Farbe, nur die Augen sind klein und blaß, als tränke er, auch ist eine Neigung zu Tränensäcken und Doppelkinn sichtbar, ich betrachte ihn mißtrauisch, die dicken Finger, die runden Handgelenke, die Uhr, die nicht von der Manschette des Hemdes bedeckt wird, er hat nicht die Manieren, die ich mir wünschte, es ist nicht zu ändern, er beginnt in seiner Kaffeetasse zu rühren, ein Mann Anfang Dreißig, der seinen Körper nicht unter Kontrolle hat. "Was hast du vor?" frage ich.
"Wenn ich die Frau gefunden habe, werde ich von vorne anfangen."
"Du solltest an deine Pension denken. Sieh an, ich kann es mir leisten, Obliegenheiten selbständig zu bestimmen, nachdem ich dem Allgemeinen vierzig Jahre gedient habe."
"Ich brauche mehr."
"Du hast dich ungünstig verheiratet. Du hast es nicht für der Mühe wert gehalten, mich zu befragen, doch ekelst du mich an mit gewesenen Geschichten."
"Es wird anders werden. Ich stelle mir ein junges Mädchen vor. Ein junges Mädchen macht alles anders, neu, meine ich. Eine andere Wohnung, andere Möbel, ein Lachen und Tanzen dazwischen, ich drehe mich mit, und keine weiteren Kinder, ein junges Mädchen nur für mich, es wird daliegen und es wird dastehen, ich werde es bekleiden, schmücken für mich oder es entblößen, kämmen und streicheln, ihm den Wein einflößen und ihn tauschen von Mund zu Mund. Es wird mein Anfang sein."
Er wippt mit seinem Stuhl, er schiebt ihn zurück, geht um ihn herum, schmatzt noch an seinem Kuchen, bleibt mit einem Mal hinter der Lehne stehen, wagt es, mir die Zunge herauszustrecken, ich werfe ihm ein Stück Zucker ins Maul, woran er zu knabbern hat, zu Wort gekommen, erkläre ich: "Ich habe genug von deinen Frechheiten." Gebändigt, setzt er sich wieder, um zu gähnen, ich finde, daß ich eine rechte Freude an ihm habe, rede weiter: "Wir haben es geschafft, mein Sohn, es ist Sommer. Die Ernte reift auf den Feldern, Libellen stehen über dem Schilf, die Luft ist erfüllt vom Sirren, als wollte sie springen, einen Spalt Schweigen freizulassen, in dem es sich ruhen ließe, gib mir deine Hand, wir wollen uns trotz allem vertragen, ich nehme dich an, du sollst kein Kind ohne Vater sein, aber du mußt den Schweiß von deinen Handflächen wischen, damit mich nicht schaudert." Ich fasse ihn an den Schultern, schiebe ihn zum Fenster. "Dies alles will ich dir zeigen, schau es dir genau an, denn die Straße wird sich von deinem Blick verändern, die Häuser werden ihre Farbe wechseln, die Fernsehantennen nach dir greifen, während die Fenster sich für dich öffnen, die Nachbarn sichtbar werden in ihren Hausanzügen und beim Liebesspiel, das du beobachten sollst, um nicht dabei sein zu müssen. Jetzt trete wieder zurück, damit wir uns weiter belehren. Es ist mein Geburtstag, es wäre an dir, das Geschirr zu waschen. Es gibt nur das Neue, mein Sohn, ich werde noch die Gelegenheit finden, dir das zu erklären." Es ist Friede in meiner Wohnung, der Nachmittag endet nicht plötzlich, ich setze mich zu der Dame auf die Bank: "Sie erlauben?" Das Plätschern des Springbrunnens, das Glitzernde der Wasserstäubchen beglückt mich. Am Rande des Beckens schwimmt ein Brettchen, auf dem die Spatzen sich drängen. Die Helligkeit des Tages ist ein Versprechen.
Warum habe ich keinen Sohn, mein Gott, warum habe ich keinen Sohn? Ist es eine Not, keinen Sohn sein eigen zu nennen? Ist es wahr, daß ich ihn nur aus der Wohnung gejagt habe? Ich weiß, daß es nicht so wichtig ist.