Karl Günther Hufnagel

 

 

 

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Süddeutsche Zeitung, 1./2. September 2001

Kaiserschnitt
Karl Günther Hufnagel über die schwere Geburt eines Dichters
von Lutz Hagestedt

Im Literaturbetrieb ist derzeit leicht Konsumierbares gefragt, ein Oberflächengleiten, das "Glamour-Ding" (Kathrin Röggla), das Autoren zu Medienfiguren stilisiert. Der Ich-Erzähler in Karl Günther Hufnagels Roman "Geburt eines Dichters im Bürgerkrieg" arbeitet als Journalist in einem Milieu, das diese Tendenz seit langem fördert: in der Boulevardpresse. Er ist eine Art Franz Josef Wagner des Reportagejournalismus.
Das wird eindrucksvoll deutlich in einer Gefängnisszene, in der der Reporter die Kindsmörderin Klopstock befragt. "Wir bezahlen Ihren Anwalt", lockt er, denn seine Leser gieren nach "authentischen" Geschichten. Als die Klopstock sein Angebot zurückweist, rastet er aus: "Ich werde Sie häuten." Die Tatmotive, die er sich dann zusammenreimt, ergeben ein Zerrbild aus Eigensucht und Hoffart, wie es die Sensationspresse ganz ähnlich im Fall Monika Weimar entworfen hat: "Sie sind eine miese Frauensperson, die außer Männern nichts im Sinn hat. Sie haben Ihre Kinder von Anfang an vernachlässigt, die Nachbarn bestätigen deren Geschrei. Die kalten Augen, die gierigen Hände, die morden können. Ihr Porträt entsteht, die blasse Haut des Gesichts, in der rötliche Flecken die Unrast verraten, die abgekauten Fingernägel, die herausfordernde Haltung des Körpers in der engen Strickjacke mit Außchnitt, eine Frau, die kriegen will, die auf Genuß lauert."

Aus unzähligen Gerichtsfilmen kennen wir dieses Verfahren, den Angeklagten mit der perfiden Logik sogenannter einfacher Wahrheiten zu konfrontieren. Sie stammen Hufnagel zufolge aus dem "Humus der Demokratie", betreffen also die gesamte Gesellschaft. Ihre Komponenten sind gesunder Menschenverstand, hausgemachte Psychologie, ein unerschütterliches Weltbild und "braver schlechter Geschmack", Versatzstücke des Trivialen, denen man bei Volksbefragungen ebenso begegnet wie in der Ratgeberliteratur. Man macht es sich leicht und hat es dadurch leichter.
Hufnagels Hauptfigur ist ein Meister auf diesem Gebiet. Die Welt, in der er agiert und die er für seine Leser erschafft, hält viele Déjà-vu-Erlebnisse für uns bereit, die an die alte Bundesrepublik erinnern: an die siebziger Jahre, als die Rote Armee Fraktion Terroranschläge auf Repräsentanten des "Systems" verübte, oder die an die Achtziger, als beim Münchner Oktoberfest eine Bombe hochging und für Jahre den Wies'nfrieden beeinträchtigte. Geburt eines Dichters im Bürgerkrieg ist, was das Sujet betrifft, nicht weit entfernt von Heinrich Bölls Erzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (1974). Im Unterschied zu Böll erzählt Hufnagel seinen Roman aus der Perspektive des Reporters, der für ein sittenwidriges Blatt arbeitet und damit zwar nicht gegen das Recht, aber gegen den Kodex der "tradierten Anständigkeit" verstößt. Seine Arbeit ist Lüge, doch seine Leser glauben an die Wahrheit und "Unfehlbarkeit" seiner Kolumnen und Reportagen.
Bis das Blatt sich wendet und der Jäger zum Gejagten wird: Die déformation professionelle des Journalisten hat einen jungen Mann auf den Plan gerufen, der sich als eine Art "Reinigungsunternehmer" versteht. Dem ersten Anschlag entkommt der Reporter nur knapp. Unverzüglich macht er sich auf die Suche nach seinem potentiellen Mörder. Er, dessen Job Selbstaufgabe verlangt, Anbiederung, Erpressung, Gemeinheit, entdeckt plötzlich "einen Rest Eigensinn", Ehrgeiz, Charakter. Er gebiert sich selbst als Dichter, schreibt sich eine Geschichte auf den Leib, im Wortsinn und mit Herzblut: "Weil ich kein Papier habe, Papier verabscheue, schreibe ich mir auf den Bauch. Reicht der Platz nicht aus, scheue ich nicht davor zurück, die Oberschenkel zu beschreiben."

Saubere Fronten, blutiger Job
Anders als Böll geht es Hufnagel nicht darum, Empörung über die gewissenlosen Praktiken der Medien zu wecken. Diese Zeiten sind längst vorbei. Auch kommt es ihm nicht auf die Wandlung eines Saulus zum Paulus an, von der Lüge der Journaille zur Wahrheit der Dichtung. Sein Protagonist erntet für die angemaßte Dichterrolle und das "Geniegehabe" keinerlei Anerkennung. Der zum Dichter mutierte Reporter hat sich jahrelang prostituiert, er ist für die Zeitung "anschaffen" gegangen, hat der Niedrigkeit gedient - und damit seiner Kunst selbst den Boden entzogen. Als Poet muß er deshalb unverstanden bleiben. Hufnagel hat für die Machenschaften der Presse das alte Wort "Frevel" gewählt, dessen religiöse Konnotation hier reichlich Nahrung erhält, weil dahinter, ebenso wie hinter dem Reinheitswahn des Terrorismus, ein Menschheitsproblem steht, wenn nicht gar ein metaphysisches Problem. "Wir verhindern den Bürgerkrieg, indem wir ihn anstiften", sagt anmaßend der Chefredakteur des Boulevardblatts, "wir sind für Unterschiede, für saubere Fronten. Wir bestimmen, was böse ist und was gut. Ohne uns das Chaos."

Hufnagel wagt einen schwierigen Spagat. Seine Fiktion ist anspruchsvoll, schwer durchschaubar und brüchig. Die Welt seines Romans ist konsequent hässlich, aber sie funktioniert. Es herrscht der permanente Bürgerkrieg. Der Reporter verendet, wie es scheint, an der Opus-Phantasie, die er dem eigenen Blut abgetrotzt hat. Sein Leben war Exzess, Lüge, Schmutz, aber er hatte seine Fans. Bis zum Schluß.